Perfekt sein oder lieber unperfekt?

Ich mag es perfekt. Doch was bedeutet perfekt sein? Warum wird es so verteufelt? Ich will es für mich ergründen. Kann ich perfekt und unperfekt zugleich sein?

Perfekt , was bedeutet das überhaupt ?

Wer legt fest, was perfekt ist und was nicht? Welche Kriterien führen dazu, dass etwas als perfekt betrachtet wird? Wenn ich beginne darüber nachzudenken, kommt mir sofort eine Antwort in den Sinn: Ich! Ich kann für mich und meine Arbeit festlegen, wann sie perfekt ist. Es ist mein Gespür, mein ästhetisches Empfinden, es ist meine Begutachtung.

Biggi Hopp freie Künstlerin

Gebe ich mich allerdings einer Sache hin, die unter einer fremden bestimmten Führung, festgesetzen Regeln und Vorgaben gearbeitet werden muss, damit sie als 100% funktiniert, kann sehr wohl auch von außen die Meinung dazu gefasst werden, ob es perfekt ist.

Ich möchte aber wissen, und zwar an Beispielen meiner eigenen Arbeit, wie es mit dem ‚Perfektseinwollen‘ bei mir aussieht. Hat es eher gute Seiten? Ist es nicht sogar erfreulich, dass ich meine Arbeiten zum Beispiel erst abliefere, wenn ich sie als perfekt empfinde? Bin ich da eine üble Perfektionistin oder eine wohlwollende Dienerin meines künstlerischen Anspruches?

Warum wird das gewollt Perfekte manchmal so negativ verurteilt, wobei die meisten Menschen doch perfekte Dinge lieben? Die Autolakierung, als banales Beispiel genannt, muss hundertprozentig top sein, ein Fussel im Lack? Das geht gar nicht.

Perfektseinwollen wird oft verteufelt, warum?

Menschen, die eine Sache besonders gut machen wollen, die an Dingen, an Projekten feilen und fummeln, bis diese für sie passen, werden manchmal argwöhnisch oder sogar bemitleidend betrachtet. Sie gelten als verbissene oder egoistische Perfektionisten. Sie setzen ihre verfügbare Zeit an erster Stelle, um das, was ihre ganze Aufmerksamkeit und Konzentration fesselt, perfekt zu ende bringen zu können. Dabei bleibt alles andere liegen. Sie vergessen die Zeit und werden gestresst und ungeduldig. Menschen die etwas perfekt machen wollen, sind erst erleichert und zufrieden, wenn die Sache ‚rund‘ ist.

Arbeitsplatz Collagen für eine Ausstellung

Ist das falsch und schlecht und sogar absolut schlimm? Es gibt sicher, wenn man es psychologisch und gesundheitlich betrachtet, Extremfälle. Ist der Perfektionismus in allen Lebensbereichen so stark ausgeprägt, dass Leichtigkeit und Entspannung vollkommen verschwunden sind, führt diese Lebensweise wohl unweigerlich zu Krankheiten.

In der Kunst ist die Suche nach dem Perfekten jedoch die Motivation, der Antrieb, der Motor. Das Perfekte hat eine enorme Stärke, es ist ein subjektives Gefühl, das in den Kunstschaffenden aufkommt und zum Glücksausbruch führt, wenn es erreicht ist. Ein Künstler, der ein Bild malt und kurz vor dem Abschluss merkt, es stimme eine Farbkomposition nicht oder es fehle noch irgendetwas, der wird solange suchen und probieren, bis es passt, bis es perfekt ist. Das muss so sein! Das Perfekte in der Kunst ist etwas wunderbares und einmaliges Großes. Ob es sich nun in abstrakten, hyperrealistischen oder illustrativen Kunstwerken wiederspiegelt, spielt keine Rolle.

Perfekt zeichnen

Das Perfekte liegt in jedem selbst. Jeder schafft seine perfekten Werke. Einem Künstler zu sagen, es müsse doch nicht perfekt sein, er könne doch aufhören, sein gerade zu bearbeitendes Werk sehe doch schon gut aus, bringt gar nichts. Der Schaffende selbst nur weiß, wann er aufhören kann.

Allerdings kann ein Kunstwerk dann von außen für gut und schön befunden werden oder genauso gut als absolut schlecht, obwohl es für den Künstler perfekt ist.

Die perfekte goldene Froschkutsche

Ein Blick in die Kindheit: Ich war so unendlich traurig. Ich konnte es nicht fassen, die Lehrerin hatte mein Bild nicht genommen. Als sie zu uns gesagt hatte, dass alle Kinder an einem Malwettbewerb teilnehmen dürfen, tuschelten sogleich die Mitschüler. Sie flüssterten, dass sowieso die Birgit wieder gewinnen würde. Das war mir peinlich, doch ich wußte auch, dass ich sehr gut malen konnte, schon seit dem Kindergarten. Die Lehrerin hatte uns ein Blatt Papier mit nach Hause gegeben. Es war sehr dünn. Wir sollten Buntstifte verwenden.

Arbeitsplatz mit Tuschkasten und Buntstifte

Ich entwarf eine goldene Kutsche mit vielen Fröschen, die zur Froschhochzeit fuhren. Ich zeichnete, radierte und zeichnete. Es wurde wunderschön. Ich fand das Bild damals so großartig. Die vielen Frösche in verschieden Positionen. Alle Bilder wurden eingesammelt, nur meines nicht. Ich war so sehr enttäuscht, dass ich die Lehrerin nie mehr mochte.

Diese Traurigkeit kann ich bis heute noch fühlen. Damals war ich in der ersten Klasse. Seit einiger Zeit allerdings, weiß ich erst, dass es vielleicht daran gelegen haben könnte, dass die Lehrerin sich schämte, so ein radiertes Bild mit dünnen Stellen in einen Wettbewerb zugeben. Und mir ist jetzt als Erwachsene auch bewusst, dass es, was es auch immer war, heute nicht mehr wichtig ist.

Aber eins weiß ich heute hundertprozentig. Mein Bild mit der goldenen Froschkutsche war absolut perfekt!!! Wer weiß, vielleicht male ich es ja irgendwann noch einmal … auf gutem starken Aquarellpapier.

Muss ich perfekt in meinen Hobbys sein?

Ich liebe Handarbeit, meinen Garten, meine Ukulele, meine Melodika oder meine Kamera. Ich habe vieles, dass mir mein Herz erfreuen kann, wenn ich es ausübe. Einige ‚Hobbys‘ lassen sich gar nicht trennen von meiner Arbeit als Künstlerin. Müssen diese Tätigkeiten perfekt ausgeführt werden? Wenn ich so darüber nachdenke kommt mir zum Beispiel das Häkeln in den Sinn. Meine Mützen, die allmählich in den Kunstbereich hineingewandert sind, begannen als bunte verspielte Häkeleien, die hier und da ruhig ein paar freie Unregelmässigkeiten haben durften. Es entstanden immer mehr Exemplare, die bunter und ornamentreicher wurden. Jede einzelne Biggi-Mütze trägt sogar ihren eigenen Namen.

Biggis Häkelmützen

Da ich diese Häkelschönheiten nun auch zum Verkauf anbieten werde, will ich, dass sie perfekt sind. Das heißt, Fehler lasse ich nicht mehr gelten. Bin ich damit zufrieden oder setzte ich mich unter Druck? Ich bin eindeutig zufrieden. Ich entlasse die Mützen mit meinem Künstlernamen in die Welt und dort sollen sie als mein Kunstprodukt mit Qualität und Ästhetik perfekt strahlen. Biggis Mützen

Anders sieht es mit meinem Garten oder meiner Ukulele aus. Ich wollte einmal einen perfekten Garten und ich wollte perfekt Ukulele spielen können. In meinem Garten merkte ich allerdings irgendwann, dass mir dieser Druck und die selbstauferlegten Aufgaben die Freude nahmen. Mit der Ukulele war es ähnlich. Als ich begann, hatte ich keine Ahnung von dem, was ich da können wollte. Ich wollte singen und mich dazu begleiten können. Und das sollte perfekt klingen. Ich suchte im Internet Lernviedeos und trat Ukulelegrupen bei. Ich sah allerdings nur perfekt spielende Leute. Das machte mich unglücklich und lies mich oft verzagen, weil es bei mir nicht klappte. Ich schob die Ukulele weit weg in den tiefsten Schrank.

Biggi übt Ukulele

Heute übe ich wieder und werde allmählich immer lockerer und unbekümmerter. Es ist so unperfekt schön, so positiv und leicht. Die Freude ist dem Druck gewichen. Ich singe einfach, weil ich Freude habe und diese Freude meine Freude ist. Sie ist privat, sie gehört mir. Und das ist das Rezept für mich, dass ich mir verschrieben habe. Sobald die Freude und der Spaß aus meinem privaten Bereich verschwindet, bin ich nicht mehr frei. Druck und Enge hat dort nichts zusuchen. Das Wörtchen perfekt habe ich aus meinem privaten Lebensbereich gestrichen. Das macht mich glücklich und ausgeglichener denn je.

Fazit

Wie ist es nun, kann ich perfekt und unperfekt zugleich sein?

Ich habe die klare Antwort gefunden. Ich bin beides und will beides sein. In meinem privaten Leben darf ich frei und locker in Leichtigkeit schaukeln. Ich darf darin ausprobieren und lernen, was ich will. Dort soll nichts perfekt sein. Ich will es sogar unperfekt. Privat bin ich eine glückliche kindliche Spielerin.

In meiner Arbeit, in meiner Kunst, will ich es perfekt haben. Das, was ich erarbeite, was ich als Kunst erschaffe, Kunstprodukte, die ich verkaufe, Aufträge, die ich für Kunden ausführe, müssen nach meinen Regeln und Ansprüchen perfekt sein. Ich meiner Arbeit bin ich glückliche Pefektionistin.

Ach, ist das wieder mal herrlich erleichernd. Ich muss schmunzeln. Dieses Aufschreiben hat mir weiterhin Klarheit über mich und mein Handeln gebracht.

Danke, dass du mir mit deinem Lesen gefolgt bist. Vielleicht hast du eine Anregung oder einen Gedanken deinerseits dazu, das würde mich sehr freuen.

Herzlichst Biggi

2 Kommentare zu „Perfekt sein oder lieber unperfekt?

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